Samagon
12.09.2013
Russland hat den Mindestpreis für einen halben Liter Wodka zum 01. Januar 2013 um etwa ein Drittel von 125 auf 170
Rubel angehoben, das sind ca.4,20 €. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Steuer für reinen Alkohol von 300 auf
400 Rubel pro Liter gestiegen sei. Die Begründung ist allerdings Unsinn. Wenn ein Wodka-Hersteller mehr Alkoholsteuern
zahlen muss, schlägt er das selbstverständlich auf den Preis auf. Dazu braucht man keinen Mindestpreis. Kein
Unternehmer wird geringere Gewinne oder gar Verluste hinnehmen durch eine alle Konkurrenten treffende
Steuererhöhung.
Ich habe in Russland auch noch keinen Wodka im Laden gesehen, der zum Mindestpreis angeboten wurde. Marken-Wodka
kostete bisher schon etwa gleich viel wie in Deutschland. Wenn der Wodka jetzt teurer wird, dann durch die erhöhte
Alkoholsteuer, nicht durch den neuen Mindestpreis.
Der Mindestpreis ist eine Maßnahme der russischen Regierung zur Bekämpfung des Alkoholismus. Alkoholismus ist ein
gravierendes russisches Problem - und zwar ein zunehmendes! Heute werden rund 52 Prozent aller Todesfälle im Alter
von 15 bis 54 Jahren auf die direkten oder indirekten Wirkungen des Alkohols zurückgeführt. Auch die niedrige
Lebenserwartung russischer Männer von gegenwärtig nur 59 Jahren, damit 17Jahre weniger als in Deutschland, hat
weitgehend die gleiche Ursache. Man muss also dringend etwas tun gegen den Alkoholismus. Aber ist die
Mindestpreispolitik eine wirksame Maßnahme? Wohl kaum!
Wenn es denn wirklich legal in Russland Wodka zum Mindestpreis zu kaufen geben sollte, würde die Preisanhebung sicher
dazu führen, dass Alkoholiker vermehrt auf illegale Quellen zurückgreifen. Die gibt es, aber der Alkohol aus diesen
diffusen Quellen ist sehr gefährlich. Dieser Wodka ist oft mit billigem und giftigem Industriealkohol gestreckt. Ein
Ausweichen auf illegale und potentiell gefährliche Wodkaquellen kann also nicht gewollt sein.
Wahrscheinlicher ist, dass die Russen bei steigenden Wodkapreisen wieder vermehrt auf Samagon zurückgreifen, den
selbst gebrannten Wodka. Samagon (eigentlich “Samogon” = “Selbstgebrannter”) hat eine lange Tradition in Russland.
Früher war es - vor allem in den ländlichen Gebieten - selbstverständlich, seinen Wodka selbst zu brennen.
Familienrezepte für den Samagon wurden von Generation zu Generation weitergegeben und als Familiengeheimnis bewahrt.
Deshalb gibt es unzählige Rezept für Samagon. Nur eines gilt für alle Rezepte: Fuselalkohole müssen vermieden werden.
Ich habe verschiedentlich in Russland Samagon angeboten bekommen und auch getrunken. Sehr wohl war mir dabei vor
dem Genuss nicht immer. Aber ich habe nie irgendwelche Beeinträchtigungen verspürt - keinen Kater, keine
Kopfschmerzen.
Der Samagon einer befreundeten Familie war für mich immer ein besonderer Genuss. Er konnte es locker aufnehmen mit
hochwertigen Weinbrandspezialitäten, ähnelte weder in Farbe noch im Geschmack normalem Wodka. Alle meine
Bemühungen, das Rezept zu erforschen, schlugen allerdings fehl. Das Familiengeheimnis wurde nicht preisgegeben, obwohl
klar war, dass ich persönlich nie Samagon brennen oder das Rezept an andere Schwarzbrenner weitergeben würde. Ich
habe lediglich in Erfahrung bringen können, dass zur Aromatisierung Zedernkerne verwendet wurden.
Der kurze Dokumentarfilm “Samagon – Wodka für den Weltfrieden” von (Zum Betrachten bitte auf das Bild klicken.)
Sebastian Heinzel und Eugen Schlegel, 2004 an der Hochschule für Film und
Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg entstanden, zeigt, dass
Samagon traditionell zu einem selbstversorgten Leben auf dem Land gehörte.
Die freundliche und weise Babuschka Vera ist die Heldin dieses
dokumentarischen Märchens. Sie lebt in einem abgelegenen 53-Seelen-Nest
im Westen Weißrusslands. Wie fast alle Mütterchen im Dorf hat sie ihren
Mann verloren und ist auf sich allein gestellt. Sie hält Gänse, backt Brot und
brennt ihren eigenen Schnaps. Der Siebzigprozentige ist wohl nicht ganz
unschuldig am frühen Tod der Männer im Dorf, rettete aber auch ihr Dorf im
Zweiten Weltkrieg vor den Deutschen.